Kölner Gesellschaft für Neue Musik e.V., Programmheft Hommage à Morton Feldman
Zur Ausstellung »In Memoriam Morton Feldman«


Wahrscheinlich wäre es klarer und unkomplizierter, meine Arbeit aus sich selbst heraus zu erläutern, aber da die Serie, die ich hier vorstelle, statt eines Titels eine Widmung trägt, halte ich es für angebracht, zuerst diesem zusätzlichen emotionalen Aspekt nachzugehen, um zu zeigen, wie es dazu kam.

So wie Morton Feldman von sich gelegentlich sagte, er habe von Malern mehr gelernt als von Komponisten, könnte ich von mir in der Umkehrung sagen. Ebenso fruchtbar wie die Ausandersetzung mit den Ideen und Konzepten von John Cage war für mich das Hören der Musik Morton Feldmans. Beide haben gleichermaßen zu einer Neuorientierung in meiner Arbeit beigetragen. Während mich Cage schon sehr lange intensiv beschäftigte, wurde mir die Bedeutung, die Morton Feldman für mich hat, erst ganz allmählich bewußt. Zwar sammelte ich, seit ich von ihm wußte, alles, was ich von und über ihn bekommen konnte, aber die entscheidende Wirkung übte auf mich erst sein 2. Streichquartett aus, das ich 1984 bei der europäischen Erstaufführung in Darmstadt hörte.

Bei diesem Stück hatte ich den Eindruck, daß neue Maßstäbe gesetzt wurden, andere Maßstäbe, und wie ich glaube, nicht nur für die Musik. Ich kann gar nicht sagen, was wirklich passiert in diesem Stück; ich habe es mehr erlebt als gehört. Aber ich glaube, es war nicht allein das Verhältnis zwischen der Subtilität und Transparenz des Stückes und der Dauer, was mich so fesselte: es war eine Erfahrung darüber hinaus, zu der ich mir, obwohl sie sich meiner Beschreibung entzog, in meinen Bildern eine Entsprechung wünschte. Die Eindrücke, Empfindungen und Überlegungen, die davon ausgingen, haben ganz sicher meine weitere Arbeit mitgeprägt.

Der erste Schritt in dieser Richtung war wohl die 144-teilige Bildgruppe von 1985/86, für die ich den Arbeitstitel "Fuge" beibehielt. Im Anfangsstadium, von Übersetzungen und Permutationen magischer Quadrate ausgehend, war diese Arbeit noch als Hommage an John Cage gedacht, doch sie entfernte sich völlig von der Ausgangsbasis und gewann eine ganz andere Dimension. Das vorgegebene System wurde praktisch aufgehoben und außer Kraft gesetzt und die angelegten Farbfelder durch die Negativfarben verdeckt, so daß aus der Gesamtheit aller Farben ein neutrales Grau entstand. Eine Verschiebung zwischen den beiden Farbsätzen bewirkte, daß sich aus diesem Grau der übergeordnete Zusammenklang der einzelnen sich überlagernden Farbränder abhob. Die schwebende Gleichzeitigkeit dieser Konstellationen, in deren weitgespanntem Beziehungsnetz sich die schrittweisen Veränderungen nur einem aufmerksamen und geduldigen Betrachter erschließen, schien mir nun annähernd dem Modell zu entsprechen, das seit Feldmans Streichquartett versuchte, Gestalt und Farbe anzunehmen. Ein weiteres, diesem sehr verwandtes Konzept, das ich etwa gleichzeitig mit der "Fuge" als Modell und Struktur entwickelt hatte, ließ mich seitdem nicht mehr los. Nachdem ich damit lange nicht in der richtigen Weise umzugehen wußte, brachte mich schließlich wieder die Aufhebung weiter; und ohne mir schon darüber im klaren zu sein, in welchem Umfange das Konzept zu realisieren sei, hatte ich gerade die ersten Bilder ausgeführt, als ich von dem unerwarteten Tode Morton Feldmans erfuhr. Daraufhin nahm ich mir im September 1987 vor, das gesamte Material, bestehend aus 720 Veränderungen in 120 Bildern, einschließlich einer entsprechenden Farbpartitur, mit einer verspäteten Widmung an Morton Feldman (In Memoriam) auszuführen und habe es Ende Februar 1988 abgeschlossen.

Die ganze Serie besteht letztlich aus 1440 sich überlagernden Farbskalen oder, wenn man so will, "Tonleitern". Ich verwende dabei eine Grundskala von 64 Farbtönen, die komplementär so angeordnet sind, daß sich 32 Paare ergeben, die sich durch die Farbanteile gleichgewichtig verhalten. Da dieses ständig veränderte, aber immer gleiche Farbmaterial durch nur 3 Farben, die Grundfarbe Blau, Rot, Gelb ausgeführt ist, sollte man versuchen, die durch Schichtungen entstandenen Farbtöne als dreidimensionale Blöcke/Figuren wahrzunehmen, zumal sich Hinweise auf die jeweilige Schichtung zwischen den Zeilen "ablesen" lassen. So sind auch innernalb einer Reihe gleich scheinende Farbtöne nie auf gleiche Art entstanden; durch Anlegen und Aufheben der Skala ist die Schichtenfolge in jedem Ton eine andere, wodurch das Ganze zu einem Balanceakt zwischen den beiden Farbsätzen, wird. Der Gesamtaufbau läßt sich durch Zahlen veranschaulichen. Als Basis sind die Zahlen 0 - 63 so angeordnet, daß jede Spalte dem gleichen Wert (63) entspricht und jede Reihe den gleichen Gesamtwert (1008) enthält. (Siehe Schaubild)

Durch die Zuordnung der 6-stelligen Binarzahl (in der die Werte 0 - 63 enthalten sind) zu den (3) Grundfarben in 2 Intensitätsstufen ergibt sich durch entsprechende Farbschichtung in jeder Spalte ein gegensätzliches Farbpaar, das zusammengenommen Schwarz bzw. Grau (63) entsprechen würde.

Die Binarzahlen, die in dieser Ordnung 6 regelmäßige Raster ergeben, sind jeweils durch Austausch in der Farbzuordnung verändert, so daß sich (720) jeweils geschlossene Skalenabläufe ergeben, die aber in der Anordnung vertauscht sind.

Die aus den ersten 6 Farbschichten entstandenen Skalen werden in den nächsten 6 Schichten in negativer Anordnung (als Umkehrung) ausgeführt, aber dabei um eine Stelle versetzt. So wird das System zwar aufgehoben, aber ohne die Skalen völlig auszulöschen.

Stattdessen verschieben sich die unterschiedlichen Raster ineinander und bewirken Farbverdoppelungen, die im Intensitätsgrad nun der nächsthöheren Skala angehören würden.

Auf jedem Blatt sind 6 dieser Farbpaar-Reihen als Schleife angeordnet, wovon die erste durch Zufall ermittelt ist und die folgenden jeweils um 1 Stelle aufrücken, so daß eine 7. Reihe wieder der 1. entsprechen würde. Dadurch ist gleichzeitig gewährleistet, daß alle 6 Raster in jeder Farbschicht enthalten sind, doch nur jeweils einmal benutzt werden.


(Paul Heimbach, März 1988)