Farbe und Zahl, ein Spiel mit Farben.


Paul Heimbach schlägt Ihnen ein Spiel vor. Er benennt die Spielregeln und bietet die Elemente an, mit denen sich gut spielen läßt.

Das gewöhnlichste Spiel mit Farben kennen wir aus der Malerei, also von Kunst her. Wir begnügen uns zumeist mit dem einzelnen Ergebnis dieses Spieles, dem Kunstwerk, ohne daß uns im einzelnen interessiert, welche Regeln vom Maler für dieses Gemälde angewendet worden sind. Die Elemente kennen wir indessen im Prinzip ohne weiteres: Es sind die Grundfarben (Schwarz und Weiß eingeschlossen). Wenn wir nun aber Auskunft darüber geben sollten, welche Farbnuancen denn nun für dieses oder jenes Kunstwerk zur Anwendung kamen oder was denn nun an Farbspielen den charakteristischen Eindruck hervorruft, wurde nicht nur Rilke in seinen Briefen über Cézannes Gemälde vor erhebliche sprachliche Probleme gestellt, sondern auch wir werden alsbald an die Grenzen unseres sprachlichen Vermögens stoßen. Wir sind unversehens sprachlos.

Das heißt also: Unser Auge vermag sehr viel mehr an Farbunterschieden und -abstufungen zu unterscheiden, als unsere Umgangssprache an Adjektiven uns dafür zur Verfügung hält.

Und hier setzt das Spiel von Paul Heimbach ein: Wir können es benutzen, um unsere eigene Wahrnehmung zu testen, um herauszubekommen, was diese alles oder grade noch zu leisten im Stande ist. Das nun rechnet er uns vor. Insofern stimmt der Titel "1 x 1" nicht nur als Metapher. Wie jeder andere Maler ebenso benutzt er eine bestimmte Palette, die dadurch charakterisiert ist, daß eine Vielzahl von möglichen Farbvarianten ausgeschlossen ist. Damit bleibt eine noch eben beherrschbare Vielzahl von Farbvarianten übrig. Aus diesem Material baut er seine Arbeiten auf. Kaum ein Maler vermag in der Regel Auskunft über die Zusammensetzung seiner persönlich bevorzugten Palette im Detail zu geben. Er braucht das auch nicht, denn er benutzt sie mit präziser Sicherheit und damit ist sie in seinem Werk für jeden sichtbar gemacht.

Die Überlegung nun, wie man das nun dennoch auch unabhängig vom einzelnen Gemälde darzustellen vermöchte, hat früher schon zu klassischen Formulierungen geführt. Am bekanntesten als Modelle dafür sind der Farbkreis und die Farbkugel geworden (durch Goethe und Philipp Otto Runge etwa) als die optimierte Spielart einer gut erinnerlichen, bildlichen Darstellung ihrer Einsichten, denen im späteren 19. und 20.Jahrhundert noch einige andere folgten. Das gilt sowohl für die Theorie der bildenden Künste als auch für die physikalische und psychologische Theorie der Farben. Die Einsicht ins Problem und Versuche einer angemessenen bildlichen Darstellungsform ist älter und fand auch nicht mit dem Farbkreis ihre Endform. Das Dreieck, das Pentagon, das Hexagon: immer sind es geometrische Elementarformen, die als Bezugsfigur gewählt wurden. Nicht zuletzt ihr leicht erinnerbarer Charakter als Form führte zu dieser Wahl im Mittelalter ebenso wie im 16. bis 17.Jh. bei Giordano Bruno und Robert Fludd. Und das ist mehr als zufällig oder gar beliebig. Hier taucht unweigerlich eine andere Ebene dieser Problemlösungen auf, nämlich ihr Charakter als Memorial-Figuren. Diese nun sind Teil einer älteren Wissenschaft, die heute unter ihren wechselnden Namen heute nicht mehr geführt wird: die ars memorativa, ars notoriae, ars memoriae oder Mnemonik. Im 20.Jahrhundert verbirgt sie sich unter anderer Gestalt.

Darunter verstand man die Kunst, das Einprägen von Gedächtnisstoffen durch besondere Lernhilfen zu erleichtern (Fremdwörter-Duden), Diese "besonderen Lernhilfen" sind unter anderem elementare Bilder. Figuren also waren es, die einem spezifischen Inhalt zugeordnet waren. Figuren dieser Art finden sich seit Beginn unseres Jahrhunderts in der modernen Kunst wieder. Sie wurden unter anderen Vorzeichen bekannt - als Suprematismus, als Konstruktivismus u.ä. Die ganze Baushauslehre, Kandinskys Lehre vom "inneren Klang" ebenso wie Ittens Farblehre bedienten sich der Darstellungs- und Argumentationsweisen der Mnemotechnik. Es gäbe Gründe genug einmal alle Kunsttheorie der Neuzeit daraufhin zu untersuchen, ob sie nicht ihrerseits als eine Teildisziplin der Mnemotechniken zu verstehen wäre. Der durchaus lohnende Versuch ist bisher nie unternommen worden. Viele Teile der modernen Kunst machen eine Variante der "ars memoriae" aus. Die traditionellen Bestimmungsstücke finden sich in ihr allenthalben vor: meist zweidimensionale geometrische Elementarformen werden bevorzugt. Ihr Gedächtnisstoff ist die Malerei und darin vorzüglich die Wirkung von Farben untereinander und auf den Betrachter. Alle übrigen Bildverwendungen haben von da gelernt: Die Werbung ebenso wie das Design von Produkten und architektonischen Räumen.

Sigmar Polke und Rune Mields beispielsweise verwandten Strategien der Mnemonik zur Provokation ihrer Inspiration. Nicht das ihre Kunst sich in Illustrationen zur Memorialtechnik erschöpfte. Sie ist Ausgangspunkt, sie bestimmt Kompositionstechniken. Gelegentlich nur ist sie auch Thema.

Das alles näher zu belegen und aufzuweisen ist hier nicht der Ort. Hier geht es um die mathematisierte Variante, die Paul Heimbach anzubieten hat. Er hat am nachhaltigsten sich diesem Thema verschrieben. Mit Fleiß hat es sich der historischen Quellen vergewissert. Dabei fand er systematische Muster für seine zuvor komponierten Werke heraus. Und das führte weiter bis hin zur Benutzung des Computers, der seinerseits in verschiedenen Komponenten seiner Konstruktion Umsetzungen solcher Memorial-Elemente verdankt. Das erleichtert wesentlich die Vorführung seiner Absichten, ersetzt aber nicht seine Kunst, die einzelnen Werke. Das erschließt sich nur in seiner Fülle, wenn Materialität und Format hinzukommen, wie es dem Original eigentümlich ist. Insofern bleibt die mediale Reproduktion nur ein Behelf, eine Ergänzung seiner Kunst und keineswegs deren fortschrittliches Pendant. Es dient der Verbreitung der Kenntnis von ihrer Existenz und seinen Absichten.

Durch den Spiel-Charakter indessen wird "1 x 1" zu einer Arbeit von eigenem Reiz, mit Möglichkeiten, die in den von ihm benutzten traditionellen Techniken nicht darstellbar wären.

Peter Gerlach